Mittwoch, 3. April 2019

Theorie, Geschwurbel und Praxis (von Claudia Weingand & Katharina Möller)

Theorie ist wichtig und wir sind uns sicher alle einig, dass es schlecht für alle Beteiligten ist, völlig ahnungslos mit einem hochsensiblen 500-Kilo-Tier umzugehen. Reiten ist durchaus auch Denksport und es gibt so etwa einen Regalmeter kluger Literatur, die man nicht nur besitzen, sondern auch lesen sollte. (Es gibt übrigens auch Bücher, die klappt man besser einfach wieder zu…)
Geschwurbel und Scheinwissen dagegen sind völlig unwichtig, wenn nicht schädlich.
Wie erkennt man jedoch, ob man einen fähigen Reitlehrer vor sich hat, dessen Ratschläge man sich zu Herzen nehmen sollte oder ob einen gerade ein Schwurbler zu verwirren versucht, dem man besser gar nicht weiter zuhört?
 
Der Erklärstil

Den Schwurbler erkennt man daran, dass seine Sätze bei wenig Inhalt klug klingen. Viele Allgemeinplätze werden aneinandergereiht und Zusammenhänge versucht herzustellen, die es in der Realität gar nicht gibt. Dem Schwurbler gefallen seine Gedankenkonstrukte nämlich weit besser als die reale Arbeit mit Pferden und so fällt ihm und natürlich auch Lesern/Zuhörern mit eher wenig reiterlicher Praxis vielleicht gar nicht auf, wie weit einige „tolle“ Ideen hergeholt sind.
Bittet man einen Schwurbler, einem einen Sachverhalt nochmal zu erklären, wird seine Antwort zunehmend komplizierter, was soweit führen kann, dass er der fragenden Person vermittelt oder sogar wörtlich sagt, er oder sie sei zu schlichten Gemüts oder auch in der Persönlichkeitsentwicklung noch nicht gereift genug, um des Verständnisses würdig zu sein.
Häufig tritt hier der „Des Kaisers neue Kleider“-Effekt ein: Kaum einer gibt zu, dass er den Schwurbler nicht versteht, weil dann wäre man ja selbst dumm. Darum wird genickt zu angehobenen Brustbeinen (wohin wird bitte was gehoben?), Schultern, Vertikalität, Horizontalität, Diagonalität, Spannungsbögen und was auch immer der Meister so von sich gibt. Und das Geschwurbel verbreitet sich, weil Hinz sich den einen und Kunz sich den anderen Satz eingeprägt hat und sich selbstverständlich schon der ein oder andere Funken Wahrheit in den blumigen Sätzen verbirgt, der zu dem einen oder anderen Pferd mal gepasst haben mag. In irgendeinem Halbsatz erkennt sich jeder wieder, also stimmt bestimmt die ganze Theorie…
Hinterfragen kann man die auch schlecht, denn es ist erstaunlich, wie lange Schwurbler sprechen oder schreiben können, ohne handfeste, nachprüfbare Fakten von sich zu geben. Wenn sie sich zudem nicht an allgemeingültige Fachsprache halten und definierte Begriffe der Reitlehre dann für sich umdeuten oder neue dazu erfinden, dann werden die Diskussion und die Überprüfung müßig: Der Begriff der Anlehnung wird zum Beispiel von Schwurblern synonym zu dem der Beizäumung verwendet, oder „Rahmenerweiterung“ wird plötzlich als Alternative zur Dehnungshaltung propagiert. Aha.
In mehreren Sprachen (Französisch und Deutsch z.B.)  gleichzeitig zu radebrechen ist dabei übrigens natürlich Trumpf. Reiten ist schließlich etwas ganz Elitäres, nur für Gebildete.
 
 
Die Praxis

Praxisfotos gibt’s von einer bestimmten Schwurblergattung nicht. Man kann auch im Zeitalter der digitalen Fotografie noch ganze Bücher füllen, die kein einziges Foto des Autors mit oder an einem Pferd zeigen, der einfach mal vormacht, wie er das alles so meint. Stattdessen seitenweise Illustrationen, gezeichnete Pferdchen mit massenhaft Pfeilen und bunten Linien, Vektoren und Rädern. Fotos fremder Bösewichte werden allenfalls als Negativbeispiele herbeigenommen, um dann stunden- oder seitenlang darüber zu sprechen, wie falsch die alles machen.
Eine andere Gattung Schwurbler versucht durchaus, Fotos von sich zu machen. Veröffentlicht werden darf aber nur die Piaffe, nicht etwa irgendwas mit Grundgangarten, und selbstverständlich nur, nach dem das Foto ausführlichst durch Photoshop gegangen ist (Claudia war lange in einem Verlag tätig und hat diverse Cover vor der Bearbeitung gesehen. Und dabei geht es einzelnen Autoren nicht darum, mal einen Zaun im Hintergrund wegzuretuschieren…). Von anderen Fotoshootings konnte leider kein Bild verwendet werden, weil – ups – das eigene Gereite dem Schwurbler selbst nicht genügt oder es dann doch auffallen würde, wenn man vor lauter Angst die Zügel immer 20 cm zu kurz hat. Eitel sind Schwurbler in der Regel nämlich schon. Das einzige Foto, auf dem das Schulterherein erkennbar klappt kann dann womöglich nicht genommen werden, weil der Schwurblerin ihre eigene Figur dabei unvorteilhaft vorkommt. Tja. Bleibt also Photoshop oder doch einfach gleich die Zeichnerin. Gerade Letzteres wirkt ja im Buch dann auch durchaus hochwertig!
Nur ganz ganz mutige Schwurbler schaffen es, Fotos von sich in sichtlich unpassenden Sätteln auf lahmenden Pferden mit ganz deutlichen Schmerzgesichtern zu posten, und diese Darbietung dann der eigenen Sekte als etwas Tolles zu verkaufen. Chapeau – kreativ gelöst!


Schwurbler vs. Fachmann/-frau

So, ist nun jeder, den man nicht direkt versteht oder der nicht zu jedem Thema sofort ein perfektes Foto zur Hand hat, ein Schwurbler?
Nein. Natürlich besteht die reelle Chance, dass man noch ein Wissensdefizit hat und deshalb geistig hinterher hinkt. Das ist überhaupt kein Problem, denn der Nichtschwurbler kann leicht in anderen Worten die Grundlagen erklären. Das zeichnet einen guten Lehrer nämlich aus: Dass er ein Thema auf die Grundzüge herunterbrechen kann und auf Nachfrage dennoch sachlich ins Detail zu gehen vermag.
Idealerweise hat er dazu noch die passenden „Reitgefühle“ parat, denn er doziert nicht nur irgendwas, er PRAKTIZIERT auch. Kein Reiter, der mehr als ein einziges Lieblingspferd reitet, beharrt dann auf dogmatischen Schwurbler-Gesetzmäßigkeiten wie „das Genick muss immer der höchste Punkt sein und der Zügel durchhängen“.  Nunja, das mag ja ein Zeichen für ein sehr weit ausgebildetes Pferd in hervorragender Selbsthaltung sein. Vielleicht ist das Pferd aber auch nur rausgehoben und hinter dem Zügel während die Halsbasis absinkt.
Den Unterschied kann man beim Reiten sehr deutlich fühlen und in der Theorie natürlich problemlos erklären. Außer man ist ein Schwurbler. Dann hat das irgendwas mit Karma zu tun.

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