Mehrere große
Institutionen, aber auch einzelne Personen, deren Anhänger beziehungsweise Nachahmer und einige (selbsternannte…)
„Gurus“ unterschiedlichster Couleur beanspruchen den Begriff der Klassischen
Reitkunst für sich. Dass die sich nicht immer einig sind ist klar - teilweise verfolgen
diese Menschen sogar konträre Herangehensweisen an die Reitkunst.
Da gibt es durchaus
böses Blut und gegenseitige Anfeindung. Das war ja auch schon immer so. Heute allerdings
nehmen an der Diskussion über die „wahre, echte“ klassische Reitkunst nicht nur
Reitmeister in gelehrten Schriften teil, sondern auch Lieschen Müller im
Internetforum. Bezeichnenderweise sind es aber nur sehr, sehr selten die
existierenden Reitmeister selbst, die von sich behaupten, sie alleine hätten
den Schlüssel zum Erfolg, die Fahrtkarte nach Rom. Sondern es sind die überehrgeizigen
Anhänger und Nachahmer, die meinen, sich vehement gegen andere Reitweisen
abgrenzen müssen.
Ich mache da nicht
mit. Denn ich sehe das so:
Zum einen ist Rom eine verdammt große Stadt. Die klassische Reitkunst ist wie oben zwar
klar definiert, das heißt wir sprechen alle (!) von einem natürlichen, pferdeschonenden
und gesunderhaltenden, also gymnastizierenden Reiten. Dennoch ist das ein
weites Feld. Nun möchten - bildlich gesprochen - die modernen Baucheristen aber
vielleicht zum Trevi-Brunnen, die Wiener zum Colosseum und die Branderup-Ritter
zum Vatikan. Die iberischen Stierkämpfer sehen’s pragmatisch und wollen halt auf
effizientem Wege in die Innenstadt. Aber egal auf was der Einzelne nun
besonderen Wert legt, wir befinden uns doch alle innerhalb derselben Stadt!
Zum anderen führen gewaltig viele Wege nach
Rom. Wer über den Seeweg
kommt, dem mag vielleicht die Insel Korsika noch die Sicht auf Rom versperren, aber
er ist genauso weit weg wie jemand, der von der Schweiz aus fährt und schon die
Grenze nach Italien überquert hat. Die Art des Reisens ist halt jeweils anders
- aber wer will sich denn bitte anmaßen,
eine davon abzuwerten?!
Alles ist für irgendetwas gut und für
irgendetwas anderes nicht gut! Die Kunst ist, zu sehen, wo man selbst in diesem
Augenblick und mit diesem speziellen Pferd gerade steht und welche Übungen
einem weiterhelfen in Richtung Rom!
Zwei Beispiele: Die
starke Biegung des Pferde(halse)s, die oft bei „Branderupleuten“ kritisiert
wird, ist (richtig angewendet!) „gut“ für die Dehnung der außenseitigen
Muskulatur und damit für die Losgelassenheit des Pferdes - ein Schritt in
Richtung Rom. Aber je nach Pferd/Reiter-Konstellation eben auch „nicht gut“, weil sie das Vorgreifen des
inneren Beinpaares einschränkt und damit Schwung wegnimmt. Falsch angewendet
führt die Übung dazu, dass die Pferde über die äußere Schulter wegeiern, keine
Linie mehr einhalten können und die Reiter nur noch am inneren Zügel um die
Kurve zerren - meilenweit von Rom entfernt.
Die viel zitierte,
viel kritisierte „Hohe Hand“ der „Légèretéleute“ ist (richtig angewendet) „gut“
für das Lockern des Kiefers und das Öffnen des Genicks - natürlich ein
wichtiger Schritt in Richtung Rom. Anderseits kann das übertriebene Heben der
Hände aber je nach Exterieur eines Pferdes auch zu gänzlichem Abbrechen im
Widerrist führen. Falsch ausgeführt (nämlich von Leuten, die nicht über die
entsprechende Sitzgrundlage verfügen und kein Maß halten können) führt das
Konzept dazu, dass „die Hinterhand zuhause bleibt“ und die Pferde giraffenartig
durch die Gegend schlurfen - meilenweit von Rom entfernt.
Diese beiden kleinen
Beispiele (womit ich ewig weitermachen könnte…) sollen verdeutlichen, wie
wichtig die individuelle Einschätzung eines Pferd-Reiter-Paares ist. Nicht
alles, was dem einen hilft, hilft auch dem anderen! Nicht alles, was
prinzipiell gut ist, ist derzeit richtig für mein Pferd und mich. Und
umgekehrt: Nicht alles, was mir und meinem Pferd geholfen hat, muss
allgemeingültig sein.
Wer denkt, er wäre schon auf der Autobahn
nach Rom und rechts und links des Weges Sicht- und Lärmschutz installiert, der
wird am Ziel vorbeirauschen!
Um sich nicht
festzufahren, hilft nur, ständig das eigene Handeln zu reflektieren um zu
sehen, was für was nutzt!
Wechseln Sie nicht
alle paar Monate den Reitlehrer und verteufeln ihren vorherigen! Leugnen Sie
nicht ihre reiterliche Herkunft. Rennen Sie aber auch nicht jahrelang blind
einem vermeintlichen Meister hinterher,
der Sie irgendwo an der italienischen Grenze im Kreis herum führt.
Es folge jeder
seinem persönlichen Weg, bleibe dabei offen für andere Einflüsse und
respektvoll auch fremdartigen Ansätzen gegenüber, die er (noch) nicht versteht!
Denn wenn man genug
reitet, dann kommt der Tag und es kommt das Pferd, für das man doch nochmal das Buch
xy aus dem Regal nimmt und einem ein Licht aufgeht… und man aufgrund praktischer Erfahrung dann vermeintlich konträre Ansätze im eigenen Verständnis der Klassischen Reitkunst sinnbringend integrieren kann.
In diesem Sinne:
Viel Freude beim respektvollen, toleranten Reiten nach Rom.
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