Freitag, 31. August 2012

Aussitzen oder Leichttraben? Über die Wahl der Sitzform

Es gibt Reitweisen, die für die jeweiligen Ausbildungstufen die Sitzform genau vorschreiben. Laut der deutschen Reitlehre beispielsweise trabt man generell die ersten 20 Minuten leicht. Wer sich an der Reitweise der Renaissance orientiert, trabt dagegen aus Prinzip überhaupt nicht leicht. Die Chiron-Reiter dagegen schwören auf einen leichten Sitz mit sehr hohem Entlastungsgrad.

Sogar für einzelne Lektionen gibt es genaue Vorschriften, zum Beispiel ist hat man beim Reiten von Volten „offiziell“  an Leichttraben nicht einmal zu denken.
Für all diese Sitzanweisungen gibt es gute Gründe - die vorgeschriebene Sitzform passt in der Regel zum angestrebten Ziel und zum derzeit gebräuchlichen Pferdetyp.

Nun ist es in der Realität aber so, dass weder Pferde noch Reiter sich -trotz aller Zuchtbemühungen- normen lassen. Welche Sitzform angebracht ist, sollte deswegen nicht die Reitvorschrift entscheiden, sondern ganz individuell das jeweilige Pferd in Kombination mit seinem jeweiligen Reiter!
Wir sind nun einmal alle verschieden, und „der richtige Sitz“ ist immer der, mit dem sich das Pferd-Reiter-Team in dem Moment wohlfühlt und mit dem sich beide in dieser Lektion  harmonisch bewegen können.

Ich sage deshalb: Ein Reiter muss alle Sitzformen (aussitzen, leichttraben, leichter Sitz) erlernen, und zwar in Ruhe und an der Longe - er muss in allen Formen zügelunanhängig sitzen können.

Welche Sitzform er aber dann in der Grundausbilung für sein Pferd anwendet, entscheidet er selbst - je nachdem, womit sein Pferd sich am wohlsten fühlt. Und das merkt man schlicht daran, „wie's am besten geht“, es handelt sich also um reine Gefühlssache.

Ein paar Beispiele: Mein Pony kann ich im Trab eigentlich nur dann aussitzen, wenn wir einen guten Tag haben. Wenn nicht, ist an ausgesessenen Trab  gar nicht zu denken, dann muss ich es nicht mal probieren. Im Prinzip ist das auch nicht nötig, denn ich kann mit ihm problemlos alle Seitengänge im Leichttraben reiten. In der Praxis sitze ich ihn erst aus, wenns  um Piaffe und Passage geht - auf dem Versammlungsgrad kann ich ihn dann nämlich auch gut sitzen.
Woran das liegt? Das mag mannigfaltige Gründe haben. Ich bin ihm zu groß, zu schwer, mein Schwerpunkt im Aussitzen stimmt für ihn nicht. Wenn ich mit Gewalt den Trab aussitzen will, macht er sich im Rücken fest, dadurch sitze ich noch schlechter und wir bekomme beide Rückenprobleme. Im Galopp dagegen klappt das Aussitzen auch auf ihm prima. Vielleicht kann ich eben einfach besser galoppieren als traben…

Meinen Lusitanomix dagegen sitze ich auch im Trab nahezu ausschließlich aus, obwohl er deutlich weniger weit ausgebildet ist. Er wirft kaum, das heißt man bekommt als Reiter nur sehr wenig Schwung, mit dem man „aufstehen“ könnte, um leichtzutraben. Sobald man aber diese „Aufstehbewegung“ aus eigener Kraft macht (also quasi höher aufsteht, als er einen wirft), gerät man ja bekanntlich ein wenig aus der Pferdebewegung. Dieses Pferd kommt dann sofort aus dem Konzept und bremst.
Warum das so ist? Wer weiß - er ist leider etwas weich im Rücken, er hat die typischen Iberergänge, sein Takt ist genetisch veranlagt sowieso störanfällig (in dem Sinne, dass er Töltveranlagung hat).

Also  wieso sollte ich denn überhaupt mit Gewalt leichttraben? Nur weil „man“ als FN-Reiter das auf dem jungen Pferd in der Lösungsphase so macht? Sicher nicht. Ich sitze also gleich aus und genieße von Beginn an die Vorzüge des Aussitzens - dieses Pferd löst sich dadurch weitaus besser!

Wenn wir ein junges Pferd anreiten, sitzen wir in der Gewöhnungsphase zunächst im Remontesitz, einem leichten Sitz mit geringem Entlastungsgrad. Ausgehend davon kann man spielerisch leichttraben, oder eben vorsichtig mehr im Sattel platznehmen und somit schrittweise zum Aussitzen kommen. Was besser geht, probieren wir vorsichtig aus. Was ein Pferd „mag“ oder „nicht mag“, sieht man an seiner Haltung: Die Pferde gehen ja mit freiem Hals (nicht ausgebunden, mit Kappzaum an der Longe) und der Reiter spürt (und ich als Ausbilder sehe), welche Sitzart dazu führt, dass das Pferd den Widerrist anhebt, die Dehnung findet und ins Schwingen kommt.
Richtig ist, was sich gut anfühlt! Und das kann, wird und sollte sogar sich im Laufe der Ausbildung auch ändern: Die Sitzart wird nicht festgelegt, sondern ständig neu austariert! Wenn etwas im Aussitzen „klemmt“, dann gehe ich ganz leicht in Entlastungsitz und probiere es so. Wenn dagegen ein Pferd durch mein besonders entlastendes Leichttraben aus dem Gleichgewicht kommt und Taktfehler macht, na dann richte ich meinen Oberkörper eben mehr auf und sitze an der Senkrechten.

Fazit: Ziel der Grundausbildung ist ja ein Pferd, was sich auf beiden Händen, in allen Gangarten und  in zunehmend kleiner werdenden Biegungen taktmässig und losgelassen bewegen kann. Was möglichst selbsttätig eine sinnvolle Traghaltung einnimmt und Spaß an der gemeinsamen Bewegung mit dem Reiter hat. Wie der sitzen muss, damit der Spaß eintritt, ist völlig individuell!
Als Reitlehrer kann ich Tipps geben. Weil ich aus Erfahrung weiß, dass gewisse Pferdetypen sich eben auf gewisse Weise besser lösen lassen. Ob das dann aber klappt, hängt ja wiederum stark vom Reiter ab - je nachdem wie der dann nämlich den Schwung des Pferdes umsetzen kann, oder eben nicht. Die richtige Sitzart ist zunächst mal die, die sich für beide gut anfühlt!

Oftmals lasse ich im Reitunterricht den Schüler die angewiesene Übung erst in der Sitzform reiten, die ihm am bequemsten ist, und weise danach nochmal eine andere an. So kann ich sehen,  inwiefern das Pferd seinen Gang ändert - manchmal ist meine Intention aber auch „nur“, dass der Reiter auch diese Sitzform noch ein wenig übt.
Denn parallel zu den individuellen Vorlieben für die Grundausbildung behalte ich in meiner Funktion aus Ausbilder ja immer auch die Gesamtausbildung im Blick. Deswegen versuche ich langfristig natürlich zum Aussitzen im lehrbuchmäßigen Dressursitz hinzuführen. In welchen Teilzielen das geschieht und wie lange das dauert, ist wiederum ganz verschieden und wir sollten uns dringend bemühen, diese Sache weitestgehend wertneutral zu betrachten.

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