Dummerweise sind die Gründe, warum ein Pferd (zumal auf
einem Foto!) mit einer nicht perfekten Kopf- und Halshaltung gehen könnte, sehr
unterschiedlich.
Zum einen gibt es die
wirkliche Rollkur, die ihre erklärten Anhänger hat. Deren Pferde werden mit
voller Absicht und systematisch im Hals gerollt (auch als Low, Deep and Round Trainingsmethode
bezeichnet). Dass die Nase dabei fast die Brust berührt, ist Folge der Hals“formung“.
Diese Trainingsmethode ist
selbstverständlich diskussionslos abzulehnen und ich halte es für richtig, wie
sehr sie angeprangert wird - mit dem Ziel, sie offiziell auf
Sportveranstaltungen einzudämmen.
Dann gibt es aber auch noch das schlichte „Hinter der
Senkrechten“ gehende Pferd - dieses ist sehr viel häufiger und oftmals nicht
einmal Absicht des Reiters. Wenn das
Pferd zu eng im Genick geht, ist das
selbstverständlich auch „falsch“ im Sinne der Reitlehre - aber das kann in
einem ganz normalen Ausbildungsprozess von Mensch und Pferd einfach vorkommen! Ist ein Pferd sehr leicht im
Genick gebaut und hat vielleicht auch noch etwas viel Schub, dann braucht der Reiter auch nur einen Moment lang nicht
ganz die optimale Handhaltung und -Höhe einzuhalten und ruckzuck kommt das Pferd „hinter die Senkrechte“, weil es sich im Maul
gebremst oder gestört fühlt - und das ganz ohne Rollkurintention des Reiters!
Das Pferd im unmittelbaren Anschluss dazu zu bringen, den Genickwinkel (wieder)
zu öffnen, bedarf eines ganz feinen Zusammenspiels zwischen Gewichts-,
Schenkel- und Zügelhilfen. Vielleicht war auch die Lektion an sich falsch
interpretiert (seitens des lernenden Reiters!) und man bekommt das Pferd über
eine geänderte Übungsreihe/anderes Tempo/etc. wieder dazu, ehrlich nach vorne
an die Hand zu treten. Genau das ist die
Kunst des Reitens und - noch schwieriger - die Kunst des Lehrens!
Ich kenne eine Vielzahl von Reitern, die schlicht und
einfach lernen müssen, wann und warum ihr Pferd manchmal zu eng im Genick wird
und vor allem, wie sie dann ihren Sitz ändern und was genau sie reiten sollen,
damit es wieder nach vorne „zieht“. Diesen Menschen und ihren Pferden nutzt es
rein gar nichts, wenn sie dann auch noch als „Rollkurler“ hingestellt werden -
dass die Nase vor die Senkrechte gehört, weiß schließlich jeder Interessierte.
Nur wie das GEHT, das ist eben bei manchen Pferd/Reiter-Kombinationen
schwierig! Wenn sich der selbstkritische
Mensch dann kaum überhaupt noch traut, die Zügel anzufassen und sie
statt korrektem Nachgeben ständig ruckartig wegwirft, wird das Vertrauen des
Pferdes in die Reiterhand (und damit seine Haltung!) doch nur schlechter und
nicht besser.
Ich persönlich frage mich außerdem, ob die Leute, die sich
so krampfhaft auf die Kopfstellung des Pferdes fixieren und diese am liebsten
per Geodreick beurteilen und bewerten möchten vielleicht in Wirklichkeit selbst
noch kein klassisch ausgebildetes Pferd genießen durften. Es geht schließlich
um die Gesamtbewegung eines Pferdes, der ganze Körper hängt (und schwingt im
Idealfall) zusammen. Da gibt’s noch eine Vielzahl anderer Indikatoren, was
genau gerade richtig oder falsch läuft.
Zu spüren wenn etwas „falsch“ ist, nutzt außerdem nur dann, wenn man
auch spürt und weiß, wie man das Problem
verbessern kann. Es geht um die Vermittlung ganz konkrete Wirkzusammenhänge und
nicht darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen!
Was die Hinter-der-Senkrechten-Debatte angeht, teilt sich
also die Reiterwelt für mich in drei Kategorien: Zum einen die Hardcore-LDR=Rollkur-Trainierer.
Die sind für mich diskussionslos gestorben und werden ignoriert. Zum anderen
oben genannte nette, interessierte Leute, die schlicht und einfach noch nicht
perfekt reiten können (also WIR alle…).
Die dritte Gruppe ist meines Erachtens die einzige
Problemgruppe: Das sind die, die im Prinzip auch keine Rollkur reiten, aber
dennoch ihr Pferd dauerhaft überzäumt reiten - weil sie denken, das sei so
„normal“.
In meinem Bekanntenkreis gibt es neuerdings einen
(Berufs?!)-Reiter, der seine Pferde für die gesamte Dauer seiner Reiteinheit zu
eng im Hals reitet. Er zieht weder grob rückwärts noch rollt er die Pferde
absichtlich auf - er gestattet einfach deutlich zu wenig Rahmen. Die Pferde
haben sich offenbar damit angefunden, dass Ihnen der Hals als Balancierstange
genommen wurde und bleiben in der Haltung, ohne Kraftanstrengung des Reiters.
Wahrscheinlich kennt ihr das Bild - um es polemisch auszudrücken, er ist „der
typische FN-Reiter“. Seiner Meinung nach
„muss“ das Pferd so gehen, denn es
muss ja „durchs Genick“. Hätte
das Pferd die Nase vor der Senkrechten, würde also korrekt (und zwar nach der
FN-Reitlehre korrekt!!) durchs Genick
treten, hätte dieser Typ Reiter mit Sicherheit den Eindruck, das Pferd ginge
eben gerade dann NICHT mehr durchs Genick.
Und das ist das echte Problem : Leute, die ihre eigene
Reitlehre missverstehen, die vor lauter Angst, das Pferd ginge dann nichtmehr
durchs Genick, überhaupt nicht fühlen können, wie viel BESSER das Hinterbein
durchschwingen, wie viel besser sich die Gänge entfalten könnten, ließen sie nur etwas mehr Rahmen zu.
Ich glaube nicht einmal, dass seine Pferde sich nennenswert
gequält fühlen (immerhin sitzt er gut und zerrt nicht ersichtlich an ihnen
herum). Es sind ganz talentierte Sportpferde, die sich trotz seiner Reitweise
offenbar immer noch ganz gut ausbalancieren können - sie bleiben aber durch
diese Kopf-Hals-Haltung deutlich hinter ihrem eigentlichen Potential zurück!
Mein Problem mit diesem (solchen…) Menschen ist ihre
Vorbildfunktion. Er ist der sympatische junge „Star“ seines Stalles - einem
Kinderreitbetrieb! Er reitet seine Pferde von Aufsitzen bis zum Absitzen in
genau dieser Haltung und das bedeutet, selbst wenn er diese Haltung im
Unterricht nicht auch noch extra propagiert (darüber kann ich nichts sagen, das
weiß ich gar nicht) ist es für all diese Menschen, die in diesem Reitbetrieb
aufwachsen, „normales Reiten“.
Nur dass es eben falsch ist und man auf diese Weise niemals
weiter kommt als vielleicht E oder A
Niveau - vom Genuss der echten klassischen Reiterei ist man weiter entfernet
als Menschen, die überhaupt nicht reiten.
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