Dienstag, 14. Februar 2012

Die Bedeutung der Losgelassenheit und die Gestaltung der Lösungsphase - WARM UP fürs Pferd (Teil I)

Die (äußere) Losgelassenheit bezeichnet das rhytmische An- und Abspannen der gesamten Muskulatur des Pferdes (vgl. Definition aus den Richtlinien für Reiten und Fahren, Band 1).

Nur wenn das Pferd losgelassen geht, kann es den Reiter unbeschadet tragen. Wenn das nicht der Fall ist, verschleißen Knochen, Sehnen und Bänder. Ziel der Lösungsphase ist das Aufwärmen, Dehnen und ins-Schwingen-kommen des Pferdes – erst dann macht Reiten gymnastisch einen Sinn.
Wie die Lösungsphase landläufig gestaltet wird, ist sehr unterschiedlich. In diesem Artikel möchte ich aufzeigen, wie und warum bei mir im Stall „gelöst“ wird.

Zunächst sollte jedes Pferd (minimum!) 20 Minuten lang  im zwanglosen Schritt gehen, damit die Gelenkschmiere in den Extremitäten des Pferdes verflüssigt und dadurch für die „Stoßdämpfung“ sorgt. Enge Wendungen sind für das kalte Pferd ein Gift, im Kreis laufen zudem eintönig – was liegt also näher, als draußen im Gelände Schritt zu gehen? Und zwar zu Fuß!
Ich führe meine Pferde bevor ich sie arbeiten möchte zunächst eine Runde um die Reitanlage, und das hat viele Vorteile: Das Pferd kann sich völlig zwanglos an der durchhängenden Longe bewegen, kann den Hals drehen und strecken und die Landschaft bestaunen. Wir gehen in flottem Schritt, gerne auch durch die Weinberge bergauf und bergab. Nach einigen Minuten schnauben die Pferde in der Regel schon mal ab, äppeln eventuell auch und machen nach und nach immer raumgreifendere, geschmeidigere Schritte. Das Bodenpersonal kommt im zügigen Schritt gleich mit in Schwung (dem Aufwärmen des Reiters widme ich übrigens den nächsten Artikel!).

Der zunächst nur locker angegurtet Sattel wird im Laufe des Spaziergangs Loch für Loch nachgegurtet, und zwar immer zuerst die hintere Gurtstrupfe. Dieses schrittweise Nachgurten ist für das Pferd wesentlich angenehmer als nach wenigen Metern in der Halle den Gurt voll anzuziehen (was leider andernorts üblich ist und notwendig, wenn man sofort aufsitzen will…).
Nach dem Pflichtprogramm Schrittführen sitze ich dann in der Halle angekommen oft immer noch nicht auf, sondern beginne zunächst mit Handarbeit: Ein bisschen Schulterherein und Kruppeherein, einige Meter Übertreten in beide Richtungen und dann an die Longe:

Dieses Ablongieren dient nicht dem „Austoben“ des Pferdes (denn meine Pferde leben im Offenstall und haben in aller Regel keinen „Stallmut“), sondern wirklich dem Erwärmen der Muskulatur. Ohne Hilfszügel und mit der Longe am Kappzaum (oder aufgrund von Faulheit wenigstens am Reithalfter befestigt) bringe ich mein Pferd nun im ruhigen Trab dazu, sich zu biegen, die innere Schulter anzuheben und den Hals fallen zu lassen. So beginnt das Pferd, sinnvoll auf der Kreislinie zu gehen, dehnt die jeweils äußere Körperseite und beugt das innere Hinterbein (um diese Art des Longierens zu erlernen, empfehle ich beispielsweise den Longenkurs von Babette Teschen!).
Je nach Ausbildungstand des Pferdes kann man nun noch Trab-Galopp-Übergänge an der Longe dazunehmen oder halbe Tritte an der Hand.

Dieses Aufwärmprogramm kostet Zeit – zugegeben. Aber wenn ich mich dann auf mein derart vorbereitetes Pferd setze, erreiche ich die Losgelassenheit im Nullkommanix: Gelenke und Muskeln sind bereits „in Arbeit“, der Atem des Pferdes hat sich mit dem Laufrhythmus synchronisiert, der Rücken ist locker. Wenn ich -nun im Sattel- noch die Hände richtig halte, sucht das Pferd die Anlehnung und es entsteht der berühmte positive „Spannungsbogen“: Das Pferd geht über den Rücken und kann mein Gewicht dadurch gesunderhaltend tragen und die Arbeitsphase kann beginnen.
Warum bleibe ich so lange am Boden und sitze nicht direkt auf?

Zum einen, um schonend nachgurten zu können – zum anderen aber wirklich deswegen, weil die Muskulatur des Pferdes noch kalt, d.h. nicht richtig durchblutet ist. Wenn das Pferd daher zu Beginn logischerweise noch nicht über den Rücken gehen kann, belaste ich das Skelett meiner Meinung nach einfach unnötig durch mein Gewicht.
Angenommen, wir hätten richtig gut durchgearbeitete Sportpferde, die vorher unterm Solarium und (mit Decke selbstverständlich!) in der Führmaschiene waren, dann kann man erwarten, dass man sich aufs Pferd schwingt und es sofort den Rücken hergibt – dann könnten wir auch direkt dynamisch losreiten.

Bei anderen Pferden (gerade  solchen, die eben nicht klassisch durchgearbeitet sind!) sähe eine übliche „Lösungsphase“ dagegen doch so aus, dass der Reiter 20 Minuten lang in womöglich noch übereilten Trab auf eckigen Kreisen durch die Bahn eiert und dabei versucht, sein Pferd irgendwie „durchs Genick“ zu ziehen.
Ein solches „Lösen“ ist massiv gesundheitsschädigend! Jede Minute, die ich auf einem festgehaltenen, nicht-losgelassenen Pferd sitze, schädigt das Tier.

Statt mit Kraft und Tempo wärme ich besser mit Sinn und Verstand auf - und setze mich dann aufs Pferd, wenn wir beide bereit dazu sind.
In diesem Sinne, viel Freude beim Reiten!




2 Kommentare:

  1. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  2. Ein schöner Artikel. Gerade letzte Woche habe ich mit meiner Sattlerin über das Thema gesprochen. Sie betonte auch, dass die Pferde erst einmal im Schritt vom Boden gelöst werden sollten, weil die Muskulatur in Belastung zu Beginn sich nicht lösen liesse. Klingt ja auch einleuchted ;)

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