ANLEHNUNG ist ein stehender Ausdruck in der Fachsprache und bezeichnet den KONTAKT von Reiterhand zu Pferdemaul, also sozusagen die Spannung der Zügel. Anlehnung bedeutet nicht etwa Beizäumung (hat also erst mal gar nichts mit dem Genickwinkel zu tun!) und ist sowohl in Aufrichtung, als auch in Dehnungshaltung gegeben. Das korrekt gerittenen Pferd tritt von selbst an die Hand heran, d.h. das Pferd „zieht“, weil die Energie aus dem Hinterbein über den losgelassen schwingenden Rücken sich über den Hals fortsetzt und das Pferd zur Hand hin streben lässt. Anlehnung wird vom Reiter gestattet, in dem er die korrekte Hand/Arm-Position einnimmt und dem Pferd damit ermöglicht, den Kontakt aufzunehmen. Soweit sind sich wohl „Klassiker“ alle einig.
Aber wie stark soll nun dieser Kontakt sein? Wie sehr soll das Pferd denn „ziehen“? Was hat das alles mit dem Treiben zu tun? Und wie entsteht Schwung? Und wieso benutzen alle die gleichen Worte, reiten aber mit ziemlich unterschiedlichen Prioritäten? Was ist denn nun „klassisch“ davon?
Ich persönlich teile die Anlehnungs-Auffassungen gerne in folgende vier Typen, deren Beschreibung vielleicht nicht ganz ernst zu nehmen ist, aber Reiter mit Erfahrung werden die Stile wiedererkennen – außerdem hat ja alles seine Vor- und Nachteile:
Typ eins: Gegen die Hand
Gegen die Hand bekommt man ein Pferd vor allem durch Treiben. Und zwar ständig und kräftig. Wenn man bei jedem Schritt, Tritt und Sprung treibt, dann kommt die entsprechende Energie (so denn der Rücken noch einigermaßen locker ist!) eben auch an der Hand an. Ein so gerittenes Pferd „zieht“ ganz prächtig, sucht also einen deutlichen Kontakt zur Reiterhand (gerne auch mal im Kilobereich). Der Rücken dieses Pferdes schwingt dabei (wie gesagt, sofern das Pferd noch nicht „dicht gemacht“ hat) beträchtlich, also die Amplitude ist recht groß – das Pferd bewegt sich dynamisch und sportlich. Gern gesehen ist diese Art der Anlehnung beim FN-Reiten (und das meine ich überhaupt nicht negativ!). Nach der klassischen deutschen Reitlehre wird das Pferd energisch an die Hand geschickt, der Schwung entsteht innerhalb eines geschlossenen Systems von treibenden und verhaltenden Hilfen. Wenn man auf den Turnierplätzen mitreiten möchte und viel Wert auf die Verstärkten Gänge (Mitteltrab, starker Trab, starker Galopp) legt, dann muss das Pferd dazu ausgebildet werden, dass es ordentlich „zieht“. Ein guter „germanischer“ Reiter erreicht das durch passiven Gebrauch der Hand und achtet darauf, dass der Rücken immer noch schwingt und das Pferd immer noch GERNE mitturnt. Die treibenden Hilfen herrschen vor.
Ein so ausgebildetes Pferd ist immer vor dem Schenkel, jeder zeit nach vorne korrigierbar und vermittelt dem Reiter ein in allen Lebenslagen sicheres Gefühl – allerdings hat es den Wendekreis eines LKW und ziemlich viel Standgas.
Wenn man das Konzept aber überreizt, also hinten Vollgas, vorne Gegenhalten, dann macht der Rücken des Pferdes dicht, der Schwung überträgt sich eben nicht mehr und aus der sportlichen Dynamik wird ein knochenverschleißendes Herumgerenne und Gezerre. „Durchs Genick“ geht das Pferd dann nur noch auf Kandare, die Beine haben sich unnatürlich und mit gebrochener Fußfolge.
Ein solches Pferd ist nichtmehr kontrollierbar und dabei ganz sicher nicht glücklich. In seinen „guten“ (haha) Momenten hebt es exaltiert die Beine und heimst nochmal ein paar hohe Noten ein, aber in seinen „schlechteren“ Momenten ist es eine Gefahr für Reiter und Umwelt und insgesamt ein unglücklies, bedauernswertes Geschöpf, was man besser auf die Weide stellte und nicht mehr ritte.
Typ zwei: Auf die Hand
Wer es gut meint mit dem Konzept der deutschen Reitlehre und dem Herantreiben an die Hand, dann aber nicht genügend eigene Rumpfspannung hat einen Tick übers Tempo reitet, evtl. gepaart mit einem eher etwas „abwärts“ gebauten Pferd, der reitet dieses in Sekundenschnelle AUF die Hand. Das Pferd wird vorne immer tiefer und schwerer, und je mehr man treibt, desto schlimmer wird’s. Das von der deutschen Reitlehrer geforderte „vorwärts korrigieren“ funktioniert dann nichtmehr, wenn das Pferd schon Kiloschwer auf dem Gebiss hängt. Je eiliger man dann auch noch trabt und je mehr man es dann anschiebt, desto mehr schiebt man es ins Verderben.
Ein so gerittenes Pferd fühlt sich stumpf und lustlos an, zieht einem die Arme aus dem Oberkörper und sich selbst die Zunge blau. An Versammlung ist natürlich nicht zu denken, deswegen hat auch dieses Pferd den Wendekreis eines LkW, aber ohne zuverlässige Gaszuleitung. Die Reaktionen kommen verzögert, und reiten ist weder sicher noch schön. Für keinen von beiden.
Typ drei: Weg von der Hand
In der französischen Tradition reitet man das Pferd mit dem Hauptaugenmerk darauf, es weg von der Hand zu bekommen. Das Pferd soll möglichst wenig „ziehen“, sich möglichst nicht anzulehnen brauchen und sich möglichst vollständig selbst tragen – ohne Hilfe der Hand. ES soll möglichst flexibel werden, sich möglichst viel Biegen und möglichst „leicht“ reagieren.Das Ergebnis davon ist ein Pferd in „Leichtheit“, die Hilfen sind mehr signalartig, das Pferd wird deutlich weniger „eingerahmt“ als in der deutschen Reitweise. Das Maß der Anlehnung ist im Idealfall nur noch das Gewicht der Zügel.
Als „Schwung“ bezeichnet man dabei nicht dieselbe sportliche, dynamische potenzieren der Energie zwischen den Reiterhilfen, sondern man legt mehr Wert auf die Kadenz, auf die Erhabenheit und Leichtheit des Pferdes – die Ausstrahlung und Energie soll aus dem Pferd selbst heraus kommen!
Ein so gerittenes Pferd ist herrlich leicht und komfortabel und sicher glücklicher als so manch germanisch gerittener Zeitgenosse. Aber wenn mal der Ernstfall eintritt, d.h. wenn man eine Lektion wirklich auf den Punkt haben möchte, womöglich noch in fremder Umgebung und unter Ablenkung, dann sitzt man auf einem tiefergelegten Kleinwagen mit viel PS, aber wenig Spurtreue und nicht hundertprozentiger Lenkung. Das Pferd ist quirlig und flexibel, aber schwerer auf Linie zu halten. Wenn das Pferd nicht an den Hilfen, sondern weg von den Hilfen geritten wird, hat man insgesamt einfach weniger Einfluss.
Könner der französischen (baucheristischen) Reitweise reiten ihr Pferd zwar weg von der Hand, behalten es aber dennoch vor dem Schenkel und am Sitz – dann klappt’s auch das Spurhalten.
Wenn man das Konzept aber überreizt, reitet man gänzlich führungslos, das Pferd ist nicht mehr vor den treibenden Hilfen, der Takt leidet (zwar anders als beim Einspannen zwischen den Hilfen wie es beim falsch verstandenen deutschen Reiten passiert, aber genauso beschissen!) und der Rücken des Pferdes schwingt eben auch nichtmehr. Auch ein solches Pferd ist eben nicht rittig, nur weil es leicht an der Hand ist, sondern unkontrollierbar und aufgrund mangelnder Führung sicher auch nicht glücklich dabei.
Das Pferd soll eingerahmt sein zwischen beiden Schenkeln und beiden Zügeln, soll sich aber innerhalb dieser Grenzen dennoch selbst ausbalancieren. Er soll „ziehen“, aber in Maßen. Das hat AUCH mit Treiben zu tun, aber eben nicht ständig und vor allem nur mit vollständig entspannten Unterschenkeln, die das Pferd nur leicht begleiten.
Der Rücken ist locker und schwingt dabei „mittelmäßig viel“. Das ergibt keine spektakulären Trabtritte – in FN-Prüfungen hieß es früher immer, ich ritte „zu brav“J.
Aber vom Reitgefühl her hat man dann einen tiefergelegten Kleinwagen (Diesel!) mit Servolenkung.
Egal wo, ob im Gelände oder auf fremden Plätzen, das Pferd lässt sich genauso regulieren wie daheim und man kommt jederzeit in alle Richtungen – vorwärts-rückwärts-seitwärts.
Insgesamt lässt sich feststellen, egal nach welcher Facon nun der Einzelne reitet:
1) Viel hilft nicht immer viel! Wenn etwas nicht klappt, was nach Ihrer Reitlehre eigentlich „Klappen müsste“, dann machen Sie nicht einfach mehr davon, sondern nehmen Sie erst nochmal Unterricht und stellen Sie konkrete Nachfragen.
2) Pferde fühlen sich wohl, wenn sie ruhig und gelichmäßig behandelt werden – keine Extreme, womöglich auch noch abwechslend!
3) ALLES was das Bein macht, kommt in der Hand an (sofern der Rücken die Energie (noch) durchlässt!) Stark treiben => starke Anlehnung. Oder drastischer: Quetschend treiben => Kiloschweres Pferd auf der Hand.
4) Ob der Rücken noch mitmacht, merkt man beim Zulegen des Tempos: Treiben -> Rücken schwingt mehr -> Pferd strebt mehr nach vorne/“zieht mehr“ -> Reiter lässt Rahmenerweiterung zu -> fühlt sich in die Bewegung mitgenommen. Generell herrscht also beim Zulegen mehr „Zug“ auf den Zügeln als in den versammelteren Lektionen, da ist das Pferd leichter an der Hand!
P.S.: Das Thema Anlehung ist sehr spannend und mit einem Blogartikel sicher nicht erschöpfend behandelt. Da ich mit Sicherheiut auch nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen habe, freue ich mich über Anmerkungen!
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