Montag, 19. September 2011

Das Ausdrehen der Hände. Ein kleines, feines Detail der Sitzgrundlage.


 
Nur aus dem richtigen Sitz heraus können die richtigen Hilfen gegeben werden und somit auf das Pferd eingewirkt werden. Soweit ist das völlig logisch, lernt man auch schließlich spätestens fürs kleine Reitabzeichen auswendig. Aber was kennzeichnet denn nun den „richtigen“ Sitz?

Nach dem Verständnis der klassischen Reitlehre ist der „richtige“ Sitz der, der das Pferd am wenigsten in der Bewegung stört – möchte man doch ein arbeitswilliges Pferd mit reinen Gängen, welches seine Lektionen anmutig und ausdrucksvoll ausführt. Wir müssen uns beim Sitzen und Einwirken also dem Pferd möglichst angenehm machen, um buchstäblich leicht zu ertragen zu sein.
Den Sitz zu perfektionieren braucht Jahre und setzt sich aus sehr vielen Bausteinen zusammen. Eines davon, nämlich das Ausdrehen der Hände, ist ein besonderes „Steckenpferd“ von mir.

In meiner tägliche Praxis als Reitlehrerin fällt mir immer wieder auf, wie schwierig es ist, sich die korrekte Handhaltung anzugewöhnen, wie oft ich diese korrigieren muss, aber wie dankbar das Pferd unmittelbar reagiert, wenn der Reiter der Anweisung folgt, die Hände richtig herum auszudrehen. Deswegen widme ich dem Thema Handhaltung heute diesen Blog.

Die Oberarme sollen locker aus den Schultern heraus nach unten fallen, die Ellbogen sind angewinkelt (IMMER beide Ellbogen gleich stark winkeln!), die Hände sind zu lockeren Fäusten geschlossen, die Daumen liegen jeweils wie ein kleines Dach mit der Kuppe auf dem ersten Glied des Zeigefingers und - jetzt kommt’s – die kleinen Finger der beiden Fäuste sind einander dabei näher als die Daumen.

Der letzte Satz steht so in den Richtlinien, wird aber oft nicht wahrgenommen, nicht verstanden und auch nicht gelehrt, ist aber eklatant wichtig für eine feine Zügelführung. Die kleinen Finger stehen einander näher als die Daumen, wenn man die Hände ausdreht. Das bedeutet, die Fingernägel sollen nach oben Richtung Hallendach (oder Himmel) zeigen, die beiden Daumen sind jeweils nach außen weggekippt.
Machen Sie das exakte Gegenteil von den sogenannten „verdeckten Fäusten“, also halten Sie die Fäuste nicht so, als würden Sie einen Kinderwagen schieben, sondern so, als würden Sie Hanteltraining für den Bizeps machen – Fingernägen nach oben, Daumen nach außen.

Durch diese Drehung werden Sie merken, wie sich Ihre Ellbogen an den Körper anlegen und Ihre Schultern locker und natürlich nach hinten unten fallen. Richten Sie Ihre Brustwirbelsäule zwischen den Oberarmen nach vorne auf, drücken Sie nicht die Schultern mit Kraft zurück.

Bei diesem Ausdrehen der Hände handelt es sich um ein winziges Detail, was aber dafür sorgt, dass sich alle Gelenke des Arms in eine bequeme Mittelstellung mit ausdrehen. Entspannen Sie die Muskulatur der Arme, insbesondere der Unterarme, indem Sie die Zügel mit etwas mehr Kraft aus dem Daumen festhalten und etwas weniger Kraft im Ringfinger. Mit dieser Haltung fühlt sich das Maul des Pferdes wohl, denn ihre Ellbogen werden automatisch in Richtung des Pferdemauls mitfedern und nachgeben können (anstatt, wie bei falsch herum gedrehten Händen, nach außen wegzustehen).

Mut zur Übertreibung!
Wenn Sie das Ausdrehen üben, übertreiben Sie ruhig! Sie können – aus Sicht des Pferdes, nicht aus Sicht der Turnierrichter – ihre Hände nicht zu sehr ausdrehen. Reiten Sie ruhig mit den Fingernägeln komplett nach oben, sodass Sie, wenn Sie beim Reiten auf Ihre Hände schauen, alle Fingernägel sehen können.
In der Feinform später stehen die Hände dann nahezu aufrecht, wie es die Richtlinien vereinfacht verlangen. Aber eben nur nahezu, denn die kleinen Finger sollen einander ja immer noch geringfügig näher stehen als die Daumen.

Korrekt Einwirken
Wann immer Sie nun auf das Pferd speziell mit den Zügeln einwirken wollen, müssen Sie für diesen Moment die Faust noch mehr drehen als in ihrer Ausgangsposition.
Das beste Beispiel dafür ist die seitwärtsweisende Zügelhilfe (für Stellung oder beispielsweise zum Abwenden). Wenn Sie die seitwärtsweisende Zügelhilfe nutzen, drehen Sie bewusst den jeweiligen Daumen von Ihrem Körper weg (also nach „innen“ - dahin, wohin das Pferd sich stellen soll). Dadurch bleibt Ihr Ellbogen am Oberkörper, auch wenn Sie die Zügelfaust nach innen nehmen, um dem Jungpferd die Richtung zu weisen.
In der Grobform bewegen Sie die Faust tatsächlich seitwärts vom Mähnenkamm weg, in der Feinform kippen Sie später nurnoch – nahezu unsichtbar – diese innere Faust ein bisschen mehr als die andere.

Ausprobieren und Angewöhnen
Dieses Ausdrehen mag sich ungewohnt anfühlen, deswegen hilft nur üben! Probieren Sie es aus – Reiter, die bereits etwas „Gefühl im Hintern“ haben, werden merken, dass das Pferd sich unmittelbar für das Ausdrehen bedankt, in dem es den Unterkiefer loslässt und weicher wird.

In diese Sinne, viel Spaß beim Reiten!

Herzliche Grüße,
Katharina

P.S.: Am 12.11. findet auf dem Hirtenbrunnerhof in 76831 Ilbesheim bei Landau ein Workshop zum Thema Zügelhilfen statt. "Wie bekomme ich eine weiche Hand?"

3 Kommentare:

  1. Das erinnert an eine Körperhaltung des fernöstlichen Kulturkreises: locker aufrecht, die Oberarme fallen ohne Spannung neben dem Oberkörper herab, die Hände weisen mit den Handflächen nach oben vorwärts. Eine sehr unverkrampfte Stellung, die sich aus dem in-sich-Ruhen für das Gegenüber öffnet.

    Bei einer kleinen Körperdrehung wird dabei fast von selbst eine ganz leicht seitwärtsweisende Handbewegung, wie eine Einladung an das Pferd, in diese Richtung zu gehen, ohne dass der Reiter in diese Richtung "fällt".

    Keinesfalls darf sich die Hand beim Öffnen nur aus dem Handgelenk drehen (wie etwa beim Betätigen eines Zündschlüssels)! Sie kippt vielmehr über den kleinen Finger nach aussen, nur dann kommt der Effekt der weichen Hand zustande ...

    just my two pence ;)
    Wilma Zahn, Hirtenbrunner Hof

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  2. das hast du wunderbar erklärt meine liebe :)

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  3. @wilma

    Super! Danke fuer die Antwort!
    *gimmefive* :)

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