Montag, 5. September 2011

Das Leben als Lehrpferd. Ein Plädoyer für vierbeinige Lehrmeister.

Wenn Sie an „Schulpferde“ denken, sehen sie dunkle Gitterboxen in einem Achzigerjahre Reitstall vor dem inneren Auge? Ausgemergelte Kreaturen „zweiter Klasse“, die Runde um Runde um einen missmutigen Reitlehrerer mit Peitsche in der Hand drehen?
Wenn ich an „Schulpferde“ denke, sehe ich fertig ausgebildete Dressurpferde allererster Klasse vor mir, die die hohe Schule beherrschen (daher ursprünglich der Name!).
Die Realität in meiner eigenen kleinen Reitschule liegt irgendwo dazwischen und aus dem Leben meiner Lehrpferde möchte ich hier erzählen.

Die Zeiten, in denen das Schulpferde“konzept“ der ländlichen Reitvereine vorsah, billige Tiere vom Schlachter zu übernehmen, die nur deswegen „brav“ und „ruhig“ waren, weil sie auf allen vier Beinen gleichzeitig lahm gingen, sind vorbei. Das Schulpferde“management“ bestand dort daraus, diese armen Tiere solange ihre Runden trotten zu lassen, bis sie endgültig nicht mehr konnten, um sie dann dem Schlachter zurückzugeben. Als besonders qualitätsvoll galt (und gilt heute noch) das dann, wenn man auch das ein oder andere ausrangierte Sportpferd darunter hat(te) – die sind nämlich auch „brav und ruhig“ (auf allen Füßen platt) und völlig stumpf geritten, aber „für den Schulbetrieb reicht das ja noch….“

Sicher mag es diese Praxis auch heute noch in manchen Betrieben geben. Das sind dann in der Regel auch die, in denen man davon ausgeht, der gemeine Schulpferdereiter sei genauso zweitklassig wie sein vierbeiniger Untersatz. Schulpferde reiten muss (!) ja nur, wer halt nicht so begütert ist, dass er sich kein Privatpferd leisten kann. Und wirklich reiten kann so jemand ja per se schon mal nicht.

Meine Lehrpferde sind Lehrer auf vier Beinen.  Nicht billig gekauft, sondern entweder selbst gezogen oder von seriösen Züchtern aus artgerechter Aufzucht stammend. Keine Bewegungswunder, aber ordentliche Pferde. Nebenbei ein ganzer Haufen „Traumpferde“, langmähnige Schönheiten und ausgefallene Rassen.

Zum Lehrpferd wurden sie nicht nach im Sande verlaufener Sportkarriere degradiert, sondern nach langjähriger Aufzucht und Ausbildung befördert!

Meine Lehrpferde habe ich ausnahmslos selbst angeritten und arbeite kontinuierlich weiter an ihrer Ausbildung. Nur wenn ich selbst weiß, wie und warum meine Pferde mit welchen Hilfen „funktionieren“, kann ich feinfühligen Reitunterricht geben.

Dabei geht es nicht darum, dass der Reitlehrer die besten „Tricks“ kennt, wie dem jeweiligen Pferd individuell beizukommen ist, sondern genau das Gegenteil: Bei richtig gerittenen Pferden braucht es eben keine „Tricks“, sondern nur seriöses Handwerk und eine gute Menge Gefühl im Hintern. Beides lernt man nur auf Pferden, die richtig „funktionieren“, also auf die Reiterhilfen reagieren und dem Reiter Stück für Stück das Gefühl guten Reitens vermitteln.

Meine Lehrpferde werden auch nicht „Korrektur“ geritten, denn wenn ich ein Pferd nach dem Einsatz als Lehrpferd „korrigieren“ muss, ist das ein Armutszeugnis für die Reitstunde, die ich gegeben habe! Sie werden schlicht geritten. Von mir. Nicht weil ich die Reitlehrerin bin, sondern weil es meine Pferde sind. Weil ich selbst gerne reite. Weil meine Pferde richtig Freude machen unterm Sattel.

Ich fahre mit meinen Pferden zu Kursen und Fortbildungen, lasse mich selbst zusammen mit meinen Pferden weiterbilden.

Erstaunt werde ich auswärts angeschaut, wenn ich erwähne, dass mein mitgebrachtes Pferd (Sie erinnern sich: Das Traumpferd mit langer Mähne und Piaffe und Traversalen…) für Reitunterricht eingesetzt wird. Wie – ich lasse andere Menschen darauf reiten? Auf meinem weit ausgebildeten, teueren Pony? Heute hohe Schule, morgen kleine Kinder ohne Sattel durch die Halle tragen? Ja!

Guter Reitunterricht macht doch die Lektionen nicht kaputt! Die Didaktik meiner Stunde lässt es nicht dazu kommen, dass jemand an den Pferden herumzieht und daran irgendetwas „beschädigt“.

Auch Einsteiger oder nicht so talentierte Reiter zerren doch nicht willentlich an den Zügeln und plumsen nur dann in Pferderücken, wenn sie mit der Aufgabenstellung überfordert und alleingelassen werden und sich schlicht nicht anders zu helfen wissen. Wer in der ersten Reitstunde die Füsse in Steigbügel gesteckt und die Zügel in die Hand bekommt und „einfach der Abteilung hinterher“ reiten soll, der muss zwangsläufig dem Pferd schaden.

Bringt man den Einsteigern dagegen von Beginn an korrektes Reiten bei, dann durchlaufen sie sehr viel Sitzschulung, reiten selten mit Zügeln, machen allerhand Dehn- und Kräftigungsübungen und reiten gewaltig häufig an der Longe. Das mag zunächst vielleicht den Eindruck erwecken, sie würden nicht „gefördert“, aber es erhält feinfühlige, fröhliche, gesunde Lehrpferde. Und ehe es sich der Einsteiger versieht, kann er „plötzlich“ sitzen, reiten, fühlen. Und die Lektionen scheinen ihm zuzufallen (das Pferd kann sie nämlich schon, und weil der Reiter so leicht und nett einwirkt, gibt es sich auch alle Mühe, ihn zu verstehen…). Man kann auf jedem Niveau eben „gut“ oder „schlecht“ reiten!

Ob ich dann also tatsächlich mein Turnierpferd auch Reitunterricht laufen lasse? Nein, ich reite mein Lehrpferd halt ab und an Turnier!

Sinn und Zweck der Dressurausbildung war schon immer ein williges, in allen Lebenslagen
reitbares Pferd. Je besser ausgebildet, desto besser das Gleichgewicht, desto besser kommt das Pferd mit unterschiedlichen Situationen zurecht. Statt im Sandkasten zu versauern, darf mein Pferd, nachdem es morgens Traversalen gepaukt hat, nachmittags mit den Kindern durch den Wald traben. Heute Lehrgang, morgen mit dem Rodelschlitten durch den Weinberg. Aus reiner Freude am Leben. Ein rittiges Pferd ist ein rittiges Pferd ist ein rittiges Pferd.

Artgerechte Gruppenhaltung statt dunkler Gitterbox
Unsere Lehrpferde leben in kleinen Gruppen, entweder im Offenstall oder in großen Paddockboxen. Sie kommen auf die Weide und werden liebevoll betreut und gepflegt. Impfungen, Wurmkuren, Hufbearbeitung. Ich bin täglich viele Stunden vor Ort. Wenn es einem Pferd an irgendetwas fehlt, bemerke ich das sofort.

Sie tragen passende Sättel. Zwei meiner Pferde haben sogar Maß-Sättel. Meine Reitschüler reiten auf Zweitausendeuro-Sätteln (je Stück!) durch die Landschaft?? Ja! (Und ja ich bin streng und bestehe darauf, dass die Sachen ordentlich weggeräumt werden. Kann man verstehen, oder…?).

Acht Stunden am Tag müsste so ein Lehrpferd theoretisch im Reitbetrieb eingesetzt werden, damit es sich betriebswirtschaftlich rechnet. Zwanzig Stunden im Monat werden meine Pferde höchstens eingesetzt.

Wie ich mir das leisten kann? Garnicht. Deswegen sind es eben keine „reinen Schulpferde“. Sie verdienen nicht mal ihr eigenes Futtergeld. Ich messe den Wert der Pferde nicht an der Anzahl ihrer „Betriebsstunden“, sondern eben auch daran, dass die Pferde mit mir auf Shows gehen, dass ich mich selbst mit ihnen weiterbilden kann, dass ich meinen Lehrfilm damit drehen konnte, die Fotos für das Buch schießen kann, an dem ich arbeite. Sie sind kein Betriebskapital, sondern meine Passion.

Rechnen muss ich natürlich trotzdem. Ich nutze mein Einkommen aus Privatstunden und Berittpferden, um meine eigenen (Lehr)pferde zu halten. Klingt dämlich, aber ich möchte ja nicht reich werden, sondern Freude an Pferden und Reitkultur vermitteln, und dazu braucht es eben Lehrpferde.
Meine Stundenpreise mit Lehrpferd sind dennoch bei weitem höher als die der Konkurrenz (aus oben genannten Gründen bleibt wahrscheinlich trotzdem weniger hängen). Das Konzept geht trotzdem auf, meine Pferde sind ausgebucht. Auch von Reitern, die längst eigene Pferde besitzen, übrigens….


Sechzehn Stunden am Tagbewegt sich ein Pferd von Natur aus vorwärts und legt dabei Kilometerlange Strecken zurück. Wer will da sagen, ein „Freizeitpferd“, was tagelang nicht gearbeitet wird, sich auf anregungsarmen, überdüngten Weiden fett frisst und die Bein in den Bauch steht, sei glücklich?


Dann doch lieber zwei, drei Stunden am Tag Ansprache durch den Menschen! Verbleiben doch immer noch 21 Stunden zum fressen (bei guter raufutterlastiger Fütterung etwa 8 Stunden am Tag, übrigens), schlafen (4 Stunden am Tag), dösen, spielen, sonnenbaden.

Meine Pferde sind gute bemuskelt, fit, fröhlich und gesund. Wir mögen uns gegenseitig und unseren Job.
Ich hoffe, ich konnte dem geneigten Leser, der sich tatsächlich bis zum Ende dieses Plädoyers durchgekämpft hat, klarmachen, dass auch Lehrpferde durchaus ein gutes Leben führen können.
Natürlich kenne auch ich Negativbeispiele mit traurigen Schulpferden. Aber in meinem Freundes- und Bekanntenkreis gibt es eben auch mehrere Reitschulen, die mit gutem Beispiel voran gehen. Sie als Kunden haben die Wahl, welche Art Betrieb Sie mit der Buchung Ihrer Reitstunden unterstützen.

Gute Lehrpferde verdienen große Wertschätzung und ich bin sehr stolz darauf, mit Lissy, Sweety, Dobllino, James und Ximeno Lehrpferde zur Verfügung stellen zu können, die diesen Namen verdienen - Lehrmeister auf vier Beinen.

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