Mittwoch, 6. Juli 2016

So ein Hund ist auch nur ein Pferd. Oder?

Am vergangenen Wochenende war ich mich Fortbilden. Dabei habe ich nicht nur über den Tellerrand geschaut, sondern habe den sprichwörtlichen Teller gleich gegen eine Tasse getauscht und dabei viel über Geschirr als solches gelernt. Aber von Anfang an:

Ich war beim Seminar „Emotionen verstehen, Verhaltensprobleme lösen“ von Madeleine und Rolf C. Franck, welches sich nicht um Pferde, sondern um Hunde drehte. Die beiden betreiben die Hundeschule „Blauerhund“ in der Nähe von Bremen, bieten professionelle Verhaltensberatung für Hunde an, sind Autoren zahlreicher Fachbücher und überregional zu Seminaren unterwegs. Neben ihren überzeugenden fachlichen Qualifikationen habe ich die Familie Franck außerdem als sehr nette Menschen und witzige, kurzweilige Referenten kennen gelernt.
Wieso ich mich zu diesem Seminar angemeldet habe? Erstens mag ich einfach Hunde und interessiere mich für Hundeausbildung und wir haben natürlich auch selbst welche (welcher Reiter hat keine?!).  Ich habe an diesem Wochenende zahlreiche praktische Anregungen und Trainingsansätze für meine eigenen Hunde mitgenommen und verstehe nun auch rückblickend das „Problemverhalten“ vieler Hunde besser, die mir in meinem Leben schon so begegnet sind.

Zum anderen ist aber gerade auch als Pferdeausbilder die Herangehensweise der beiden Hundetrainer höchst interessant. Damit meine ich nicht (unbedingt) die „technische“ Seite des Trainings oder die üblichen Verhaltensprobleme, die Hunde in ihrem Alltag so haben können, denn ich kenne zum Glück kein Pferd, was beim Springen nervtötend zu bellen beginnt und auch keines, was ungefragt Autos hetzt.
Um was es geht: Nach dem EMRA (emotional moodstate + reinforcement assesment) Modell werden die Emotionen in der Problemsituation und der Erregungszustand des Tieres beleuchtet. Außerdem werden die allgemeine Stimmung, das „Wohlfühlbudget“ und seine zu befriedigenden Bedürfnisse und die individuell wirkenden Verstärker eingeschätzt, wobei oft das Gefühl der „Erleichterung“ eine zentrale Rolle spielt.

Dem ESTA-Ansatz (emotional systems therapeutic application)  zur Behandlung der Probleme liegt die Emotionstheorie nach Panksepp mit den Systemen Angst, Panik, Wut, generelle Motivation (Seeking), Fürsorge und Spiel zugrunde. Durch Beeinflussung dieser Systeme ergibt sich ein Rahmen zur Behandlung von Verhaltensproblemen.
Bei dieser Betrachtungsweise werden also nicht stumpf Symptome unterdrückt, sondern man versetzt sich in das individuelle Tier hinein und bemüht sich, seine Beweggründe zu verstehen.

Die Planung von praktischen Maßnahmen dreht sich in meinen eigenen Worten ausgedrückt um die Fragen: Wie fühlst du dich, was brauchst du, was fehlt dir? Was muss ich organisieren, damit du deinen Job für mich gut und gerne machen kannst? Wie lernst du LEICHTER, wie bewegst du dich leichter, was fühlt sich für dich leichter an? Oder aber wieso platzt dir der Kragen? Anstatt: Dir hat gefälligst der Kragen nicht zu platzen.
Manche der für Hunde vorgestellten Maßnahmen sind dann ganz simpel, wie etwa der Zeitpunkt der Fütterung, ein anderer Schlafplatz oder ein geringfügig geändertes Timing im Training. Manches sind Dinge, auf die man wirklich hätte selber kommen können. In anderen Fällen mussten mir aber wirklich erst die Augen geöffnet werden und die Faktoren sind vielschichtig.

Kommt uns das nicht ziemlich bekannt vor? Auch in der Pferdeausbildung entscheiden oft Kleinigkeiten über Erfolg oder Misserfolg des Trainings. Oft hilft uns der gesunde Menschenverstand, an anderer Stelle müssen wir als Reiter aber wirklich auch über unseren menschlichen Schatten springen und entgegen reflexartiger Verhaltensweisen handeln. Oft haben die „Altvorderen“ Recht, und man versteht im Nachhinein erst, wieso und wie sehr. Andere alte Zöpfe dagegen gehören abgeschnitten, weil es heute einfach neue Erkenntnisse gibt und die Lage des Freizeitpferdes einfach eine völlig andere ist als die des früheren Kriegspferdes beispielsweise.
Ich halte seit letztem Jahr das Seminar „Fütterung und Haltung im Hinblick auf die Losgelassenheit des Reitpferdes“ und es trägt den inoffiziellen Untertitel: „Ich kann so nicht arbeiten“. Wir thematisieren dabei diverse Faktoren aus dem Lebensumfeld des Pferdes, analog zum  „Wohlfühlbudgets“ aus dem Hundeseminar. Wenn gewisse Dinge in der Fütterung und Haltung schief laufen, ist losgelassenes Reiten schlicht nicht machbar.

Außerdem habe ich kürzlich eine Fortbildung zum Thema Prävalenz- und Palpationsdiagnostik von Gastrointestinalerkrankungen besucht (bei Constanze Röhm – auch sehr empfehlenswert!) und auch hier hat mich besonders fasziniert und weitergebracht, wie viele Faktoren aus dem gesamten Leben eines Pferdes man untersuchen sollte und wie exakt man Dinge tatsächlich messen, aufschreiben und zueinander in Beziehung setzen sollte.
Die Herangehensweise liegt mir also und das Hundeseminar hat in meinen Pferdeverstand einige Teile zusammengefügt, die ich in meiner praktischen Arbeit erlebe und mit einigen interessanten Fakten verknüpft, die ich aus anderen Fortbildungen oder der Literatur kenne. Es hat mir gezeigt, wo in meiner Arbeit mit Pferden noch Luft nach oben ist und ich habe mehrere Ideen mit nach Hause gebracht, welche Zusammenhänge ich recherchieren sollte. Sehr gerne würde ich mich dazu auch mit einem Pferdewissenschaftler austauschen (hat jemand Zeit und Lust?).

Besonders interessant ist dabei für mich zunächst die Sache mit der Angstentstehung und -Übertragung, wofür ich ein „perfektes Beispiel“ in meinem Ausbildungsstall stehen habe.
In der Zwischenzeit möchte ich euch das EMRA-Buch „Emotionen einschätzen, Hunde verstehen“ empfehlen (welches ihr hier bestellen könnt: http://www.cadmos.de/emotionen-einschaetzen-hunde-verstehen.html ).  Das Foto zeigt ein „Koordinatensystem“, in dem die Emotionseinschätzung aus einem Fallbeispiel eingetragen wurde.

Außerdem kann ich jedem Hundebesitzer (auch ohne „Problemhund“) und tatsächlich auch Reitern (mit genügend Vorbildung und Wille zum Verknüpfen – denn inhaltlich geht es dort natürlich nicht um Pferde!) die Teilnahme an dem Seminar bei Familie Franck empfehlen. Es findet dieses Jahr noch einmal statt, Informationen findet ihr unter www.blauerhund.de
Das Fütterungs- und Haltungsseminar bei mir findet nächstes Jahr im Mai wieder statt, Termin und Details findet ihr auf meiner Webseite www.andenhofstaetten.de

Ich wünsche euch viel Freude mit euren Vierbeinern, frohes Forschen und viel Fühlen! Bis bald!

 *****************************************

 P.S.: Was ich sonst noch gemacht habe, quasi privat:

- Während eines offenbar traumatischen Fußball-Länderspiels in aller Ruhe mit meinem jungen Hund Bo spazieren gegangen, ohne eine Menschenseele zu treffen, auch im Ort und im Hotel nicht.
- Als Fahranfänger Ferrari gefahren (mit einem Profi-Bodercollie durch einen Agility Parcours gelaufen. Fazit: Ich bin zu langsam, zu schusselig und irgendwie nur den Wendekreis eines Traktors gewohnt. Aber hey, etwas ganz neues zu machen, was man ausgesprochen nicht kann, soll ja den Horizont erweitern. Sorry, Panda. Und danke!)

- Überhaupt auf einem Hundeplatz gewesen (keiner hat rumgebrüllt, Überraschung!) und Hundesportlern zugesehen. Meinen Respekt für diese Leistung – sowohl als Trainer (muss man dem Hund ja erstmal alles begreiflich machen), als auch den Hunden (der Hammer, was die alles verstehen und dann auch noch MACHEN WOLLEN).
- Cavalettitraining mit Bo begonnen. Muss weiterverfolgt werden.

- Findus vermisst (der beste Hund der Welt brauchte selbstverständlich kein Problemseminar).
- im Hotel beim Frühstück von der Chefin begrüßt werden „Ist alles recht - oder muss ich Tee kochen??“

- Und, vor allem und ausdauernd: Welpen gestreichelt. Senkt auch meinen Blutdruck und lässt meinen Serotoninspiegel steigen. Und bestimmt auch mein Oxytocin. Also ganz klares Plus in meinem Wohlfühlbudget.  Und Kaninchen, fällt mir da gerade ein. Tolles Wochenende.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen