Dienstag, 1. Dezember 2015

Wieviel „Arbeit“ für mein Jungpferd – zwischen Überbeanspruchung und Kaputtschonen

Ich werde häufig gefragt, wann und wie viel man denn mit einem jungen Pferd (ab dreijährig aufwärts) „arbeiten“ sollte. Viele Besitzer meiner (zukünftigen) Ausbildungspferde sind unsicher, wann sie ihr Baby in Beritt geben sollen.

Ich erläutere dieses Thema ausführlich in meinem Buch „Jungpferdeausbildung mit System“ und beschreibe dort, was genau und wieviel und wie oft und wie lange ich so mache. Dennoch erreichen mich zu diesem Thema Nachfragen, deswegen möchte ich in diesem Artikel nochmal etwas „genereller“ zusammenfassen, was der körperlichen und geistigen Entwicklung Ihres Jungpferdes nutzt und was ihm Schaden tut.
Wir beginnen mit den Extremen: Da sind diese (zweieinhalbjährig „angearbeiteten“) Drei- und Viejährigen, die durch Auktionshallen und Materialprüfungen laufen ohne mit der Wimper zu zucken. Und sich dabei in exaltierten Bewegungen auf brettlebenem Viereck oder über mannshohe Oxer beim Freispringen ihre Babyknochen kaputtkloppen. Dass das nicht richtig sein kann, ist in unseren gutinformierten und wohlmeinenden Freizeitreiterkreisen natürlich bekannt. Unsere eigenen geliebten Vierbeiner mit Familienmitglied-Status wollen wir doch bis sie dreißig sind gesunderhalten, mindestens.

Manches Mal resultiert aus diesem Gedankengang aber auch, dass der heißgeliebte Freizeitpartner bis fünf, sechs oder siebenjährig gar nicht arbeitet, sondern sich auf seinem Paddock oder reizarmer Wiese (im schlimmsten Fall in Schrebergartengröße mit einem einzigen Gesellschaftspferd) die Beine in den Bauch steht. Auch davon gehen Pferde definitiv kaputt! Man meint es ja nur gut, aber…. Pferde sind nun mal Lauftiere, und ihr gesamter Organismus ist auf locker 20km tägliches Gehen ausgelegt. Für die Gesundheit ihrer Atemorgane ist es notwendig, diese ab und an auch mal wirklich zu benutzen, und das heißt nicht im Schritt!
Dazu kommt die wünschenswerte Anpassung, die für ein (zukünftiges) REIT-Pferd nun mal unerlässlich ist. Vereinfach gesagt muss man bis zum fünften Lebensjahr das Pferd moderat auf die Belastungen seines späteren Einsatzes vorbereiten. Möchte ich also das, was der typische Freizeitreiter so möchte, wäre das: Auf sinnvolle Weise den Reiter tragen. Über alle möglichen Untergründe laufen (ja, auch Schotter und bergauf), auf dem Reitplatz die Kurven kriegen (am besten in allen Gangarten) und sich über einem Cavaletti nicht die Beine brechen. Auch „nervlich“ ist in unserer dichtbesiedelten Landschaft einiges zu verkraften: Das Jungpferd muss lernen, optische und akustische Reize auszuhalten, die in seiner Natur eher weniger vorgesehen sind. All das bringt Stress mit sich, und dieser Stress ist gut und richtig und wichtig, denn er führt zur Anpassung des Organismus.

Wie finde ich nun die berühmte goldene Mitte?
Zum einen hängt der „Arbeitszwang“ von der Haltung ab.  Wer einen perfekten Paddocktrail mit unterschiedlichen Untergründen und wirklich weiten Wegen zwischen Heu und Wasser hat, dazu Koppeln am Berg mit Waldstück und Bach, sowie eine hinreichend große, aktive Herde mit Pferden aller Altersklassen, der hat ganz leicht reden. Überprüfen Sie mal mittels GPS-Tracker, wieviel Kilometer Ihr Pferd in 24 Stunden macht. Sind das mindestens 15 und das Pferd wirkt dabei fit und fröhlich, dann würde ich persönlich sagen: Dieses Jungpferd muss wirklich nicht gearbeitet werden, der trainiert hinlänglich selbst.

Nur, wer hat diese perfekten, vielfältigen Reize in der Haltung schon? Schauen wir wieder auf das geliebte Pony hinterm Haus, was mit dem älteren Zweitpferd da so vor seiner Heuraufe steht. Dieses Pferd muss eben „gearbeitet“ werden, um gesund zu bleiben und sich gesund zu entwickeln.

WIE GENAU ich die Jungpferde arbeite, habe ich in meinem Buch beschrieben. Die einzelnen Arbeitseinheiten halte ich betont kurz und mache betont „wenig“, aber eben kontinuierlich. Die Faustregel in Anlehnung an die HdV besagt, dass ein dreijähriges Pferd dreimal pro Woche arbeitet (mit IMMER mindestens einem Pausentag zwischen den Einheiten) und ich persönlich schlage als „Arbeit“ vor, das Pferd zu putzen, spazieren zu führen und es ruhig (!) auf dem Reitplatz frei laufen zu lassen und es dort an Trailhindernisse, Regenschirm etc zu gewöhnen. Diese Arbeit sollte sich noch nicht nach „Arbeit“ anfühlen.

Das vierjährige Pferd darf dann viermal pro Woche etwas tun (mit IN DER REGEL einem Pausentag dazwischen. Zweimal am Stück geht auch, dann aber wirklich wenig belasten) und ich würde es dann planmäßig anlongieren, es an den Sattel gewöhnen und weiterhin spazieren gehen, nun auch mal größere Runden und auch über Geländeschwierigkeiten wie kleine Gräben etc. Je nach körperlicher und geistiger Verfassung würde ich das Pferd ebenfalls planmäßig und kontinuierlich an das passive Reitergewicht gewöhnen, jedenfalls aber eben in aufeinander aufbauenden Einheiten und wirklich minutenweise gesteigert.
Das fünfjährige Pferd darf dann fünfmal pro Woche etwas tun (zwei Pausentage sinnvoll zwischen die Arbeitstage verteilt) und dabei würde ich das Pferd nun wie gehabt in kleinen Schritten, aber eben doch kontinuierlich vielseitig reiten und grundausbilden. Nun darf sich das zwischenzeitlich auch schon mal nach leichter „Arbeit“ anfühlen. Bei den Geländeritten soll es manchmal leicht ins Schwitzen kommen. Die „Belastungsart“ ist sinnvoll abzuwechseln, wenn ich zum Beispiel einen Tag längere Trabstrecken in etwas tieferem Sandboden hatte, dann sollte darauf beispielsweise ein Schrittausritt auf hartem Boden folgen.
Das sechsjährige Pferd kann dann bis zu sechs mal pro Woche gearbeitet werden. Dieses Jahr ist das „Jahr der Grundausbildung“ und das bis dato wie beschrieben auftrainierte Freizeitpferd darf und soll in diesem Jahr wirklich was erleben. Von erstem kleinen Wanderritt bis hin zur Kursteilnahme auf externer Anlage ist alles möglich, was Ihnen Spaß macht.
Diese Faustregel passen Sie bitte Ihren Bedingungen an. Beginnen Sie mit einem rohen oder jedenfalls untrainierten "älteren" Pferd, wird dieses dreimal pro Woche gearbeitet, im folgenden Jahr dann viermal und so weiter.
Soweit, so gut. Und wann soll das Pferd denn nun zu mir in Beritt?
Drücken wir es so aus: Wenn Sie es sich leisten können, bitte die ganze Zeit und ich begleite Sie einfach ständig bei allen Ausbildungsetappen. Dann sage ich Ihnen immerzu, warum genau wir wieviel genau arbeiten und wieso wir wann Pausen machen. 

Wenn Ihre Planung und Ihr Budget etwa ein halbes Jahr Beritt bei mir vorsieht, dann würde ich sagen: Bringen Sie das Pferd vierjährig. Dann longieren wir es an und reiten es an.
Eventuell macht es Sinn, ihre veranschlagten sechs Monate zweizuteilen. Vier Monate bis zum Anlongieren/Anreiten , dann nehmen Sie das Pferd erstmal wieder mit nach Hause, lassen das Pferd weiter wachsen und üben einfach alles, bevor sie im nächsten Jahr wiederkommen um weiterzulernen.

Was tun, wenn ihr Pferd vierjährig körperlich gerade so gar nicht nach „reitbar“ aussieht (Wir hatten das unlängst bei einem Araber)? Dann würde ich das Pferd dennoch schonend anlongieren und nebenbei viel Spazieren gehen (ob sie das daheim können oder ob wir das in Form von „Beritt“ hier machen, ist beides gut!) und dann anreiten, wenn es vorne und hinten annähernd gleich hoch ist.
Was ist zu tun, wenn ihr Pferd (älter als vier Jahre) einfach insgesamt babyhaft und wenig bemuskelt ist? Da kann man es doch nicht in Beritt geben? – Doch, uns schon! Wir reiten ja sowieso nicht sofort, sondern trainieren das Pferd an der Longe und mittels Handarbeit auf. Außerdem wird die Fütterung überprüft/angepasst und das Pferd osteopathisch durchgecheckt. „Mehr Pferd“ wird Ihr Pferd nicht vom Rumstehen, sondern während SINNVOLLER ARBEIT.

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